Zum Vermächtnis von Frau Prof. Dr. H. von Dechend

 

Ihr Lebenslauf in Schwerpunkten:

Dabei möchte ich zuerst auf ihre persönliche Geschichte, wie sie überhaupt zu der Verbindung von Mythos mit Astronomie kam, eingehen. Sie sagt dazu in der

Polynesien-Vorlesung von 1977: p9 - p10

 

Frau Hertha von Dechend wurde am 5. Oktober 1915 in Heidelberg geboren. Ihre Eltern waren Dr. phil. Alfred von Dechend und Elsbeth von Dechend. Ihr Großvater, Hermann von Dechend, war der erste Reichsbankpräsident gewesen, ihr Vater Alfred, ein promovierter Chemiker, verlor in der Wirtschaftskrise (1929) seine Arbeit und trennte sich von der Familie.

1925 tritt sie in das Heidelberger Mädchenrealgymnasiums ein und 1930 in die gymnasiale Abteilung derselben Schule

1934 macht sie ihr Abitur.
Uta Lindgren (eine guten Freundin) erzählt: Sie hatte ihre Ablehnung der Nazis bereits so deutlich kundgetan, daß sie das Abiturszeugnis nur mit Mühe erhielt.

Am 15. Juni 1934 trat sie als Volontärin in das Forschungsinstitut für Kulturmorphologie in Frankfurt am Main ein, wo sie im Archiv und in der Photoabteilung tätig war und die Bibliothek verwaltete.

1936 leistete sie den Arbeitsdienst ab.

1936 bis 1939 Im WS 1936/37 begann sie mit dem völkerkundlichen Studium an der Uni Frankfurt. Daneben war sie weiterhin am "Forschungsinstitut für Kulturmorphologie" tätig und verwaltete dort die Privatbibliothek von Geheimrat Leo Frobenius bis zu seinem Tod 1938.

 

(nach Angaben von U. Lindgren: fand sie 1934 ohne Studienerlaubnis Unterschlupf im Frankfurter Museum für Völkerkunde bei Leo Frobenius). Im städtischenVölkermuseum beteiligte sie sich an den Magazinierungs- und Neuaufstellungarbeiten.

1939 promovierte sie mit der Dissertation über "Die kultische und mythische Bedeutung des Schweins in Indonesien und Ozeanien".
Das Thema ihrer Diss. erhielt sie von Geheimrat Frobenius. Tag der mündlichen Prüfung war der 8. Nov. 1939.

1940 setzte sie ihr Studiums der Geschichte der Naturwissenschaften und Philosophie
an der Universität Frankfurt fort

1940 bis 1941 wurde sie zum Nachrichtendienst der Luftwaffe in Paris verpflichtet, s. unteres Bild.

U. Lindgren im Nachruf:
Obwohl sie kein Wort Französisch verstand, nahm sie rasch Kontakt auf zu den Ethnologen im Musée de L'Homme, mit denen sie sich nicht nur auf der wissenschaftlichen Ebene gut verstand, sondern deren politische Haltung sie teilte.

1939-1945 wird sie im Frobenius Institut als eine assoziierte wissenschaftliche Mitarbeiterin gelistet.

1941 bis 1960 Sekretärin, Bibliothekarin und Assistentin am Institut für Geschichte der Naturwissenschaften (IGN). Ihr Chef dort war Prof. Dr. Willi Hartner. Anderen Infos zufolge war sie erst ab November 1943 zeitweise am IGN.

 

Es gibt ein Entlassungsschreiben aus dem Forschungsinstitut für Kulturmorphologie von Prof. Dr. Jensen aus dem Jahre 1946.

Ihre Tätigkeiten während 1943 bis 1960:
1953 veröffentlichte sie: Justus von Liebig in eigenen Zeugnissen und solchen seiner Zeitgenossen.

Bei einem Symposium in Frankfurt 1958 lernte sie Giorgio de Santillana (Professor für Wissenschaftsgeschichte) kennen. Anschließend verbrachte sie auf Einladung von Giorgio de Santillana jährlich einige Monate am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, Mass., USA.

1960 Habilitation -Venia Legendi für Geschichte der Naturwissenschaften (Thema "Der Mythos von der gebauten Welt als Ausdrucksform archaischer Naturwissenschaft I und II")

1966 Ernennung zur außerplanmäßigen Professorin.

1969 veröffentlichte sie zusammen mit Giorgio de Santillana Hamlet's Mill, An Essay on Myth and the Frame of Time, Boston 1969. Darin wird ihr der größere Teil der astronomischen Informationen zugesprochen.

1977 veröffentlichte sie Bemerkungen zum Donnerkeil (erschienen in: Prismata, Festschrift für Willy Hartner)

U. Lindgren erinnert sich: Hertha von Dechends berufliche Karriere in Frankfurt verlief weniger spektakulär. Zwar wurde sie, wie damals üblich, 6 Jahre nach ihrer Habilitation zum apl. Professor ernannt, jedoch erst 1971, neun Jahre vor Erreichen der Altersgrenze, zum ,,Professor auf Lebenszeit".
In dieser Zeit hielt sie jedes Semester ihre Vorlesungen und zugeordneten Seminare ab, wenn sie nicht in den USA weilte.

1980 Pensionierung. Sie hielt jedoch weiterhin Seminare auf privater Ebene in einem Kreis von etwa 8 Zuhörern ab, oft im Wohnzimmer der Familie Volhard.

1985 gab es einen Artikel in der FNP (5. Okt. 85) zum 70. Geburtstag von Stephan Fuchs:



Dann konnte sie in der Folgezeit zusammen mit Prof. Mayama ein Zimmer im IGN beziehen, das sie, aus Kronberg angereist, einmal in der Woche nutzte, um Besuche zu empfangen oder Arbeitsmaterial aus der Bibliothek zu benutzen.

1993 erschien die Deutsche Ausgabe von Hamlet's Mill: Die Mühle des Hamlet, 1993. Ein Essay über Mythos und das Gerüst der Zeit (Berlin, Kammerer und Unverzagt, Computerverl., dann Springer Verlag)

Am 23. April 2001 starb sie im Markus-Krankenhaus in Frankfurt.Am 11. Mai Trauerfeier am Frankfurter Hauptfriedhof, am 20. Juni Urnenbeisetzung im Grab der Familie Volhard.

Das IGN selbst wurde 2009 geschlossen.

 

Erinnerungen und Bemerkungen von Personen aus ihrem Umfeld

* * *

Erinnerungen von Frau Lotte Hudemann, geb. Caspari, war mit Hertha von Dechend von Kind auf lebenslang eng befreundet.

Sie erinnert sich:

Hertha und Lotte Hudemann wohnten von 1923 bis 1928 mit ihren Familien im gleichen Haus, Bergstraße 70 in Heidelberg. Lotte lernte von der fünf Jahre älteren Hertha - anfangs auf kindlichste Weise - Lesen, Schreiben, Rechnen, Radfahren. Die beiden Mädchen hatten eine herrliche Kindheit, betreut von zwei rührenden Müttern.

Hertha merkte sich bis ins hohe Alter alle Einzelheiten (Namen und "Schicksale") zu jeder Hauptfigur ihrer Kinder- und Jugendbücher.

Als Schülerin des Gymnasialen Zweigs des Mädchen-Realgymnasiums Heidelberg beherrschte Hertha Latein und Griechisch von der Schule her; Lehrer u. a. Prof. Theo Hänlein. Hertha blickte in der Oberprima vom Schulzimmer aus auf den Turm des jenseits des Neckars liegenden Heiligenbergs. Wenn sie etwas nicht wusste, fixierte sie diesen Turm, und Prof. Hänlein nahm sie dann nicht dran.

Im BdM (Bund deutscher Mädchen) war Hertha nicht. Die Lieder der damaligen Zeit kannte sie meines Wissens aus dem Arbeitsdienst (zum Beispiel "Es zittern die morschen Knochen der Welt vor dem großen Krieg"). Hertha sang die zahlreichen Lieder, die sie in der Jugend gelernt hatte, bis ins Alter durch alle Strophen mit unnachahmlichem Pathos.

Hertha war immer gegen das Nazi Regime. Sie war die einzige Heidelbergerin, die die jüdischen Freunde am Heidelberger Hauptbahnhof verabschiedete, als diese nach Erhalt einer Ausreisegenehmigung nach Palästina abreisten.

In Frankfurt hat Hertha in den Jahren 1934 bis 1940, manchmal unter Inkaufnahme von Risiken, anderen sozial bedrängten Menschen - wohl meist aus dem Umfeld der Universität - geholfen, z. B. mit Quartier. Das hielt sie für ganz selbstverständlich.

Ihren wissenschaftlichen, politischen und menschlichen Standpunkt hat sie immer unerbittlich, oft heftig, vertreten. Das trug ihr manche Aversion ein. Herrlich war Herthas Humor: Man konnte mit ihr Tränen lachen.

 

 

 

 

 

Siehe auch Nachruf von Yas Mayama, Professor für Astronomiegeschichte am IGN von 1976 - 1996

Nachruf von Uta Lindgren (Professorin für Geschichte der Naturwissenschaften und Technik an der Universität Bayreuth)

 

Ein erst in jüngerer Zeit mit ihr Vertrauter war Dr. Andreas Goppold (Uni Ulm u.a.).
Er schreibt Hertha v. Dechend zum Gedenken:
Erster Anlass zu diesem Paper ist mein Gedenken an Hertha v. Dechend, die Anfang 2001 verstorben ist. Seit ca. 1994 stand ich mit ihr in regelmäßigem Gedanken-Austausch, in dem sie mich in das immense geistige Labyrinth einführte, das sie gewissermaßen als personale Inkarnation archaischer Nornen- und Moiren-Mythen, als Mittlerin der Schwelle zwischen Diesseits und Jenseits, als Hüterin der Pforte, bewahrte. Nun ist sie über die Schwelle gegangen: in das Pythagoräische Reich der Sphären-Harmonien, das sie sich in ihrer wissenschaftlichen Arbeit mühsam aus Millionen von Bruchstücken zusammen-gesucht hatte. Für eine Forscherin eine würdige Auffahrt in einem Himmel, den sie sich zu ihren Lebzeiten selbst wieder-erschaffen hatte.

 

zurück/back