Germaine Dieterlen und Marcel Griaule (Paris, 1965)

Der "helle" Fuchs

Kapitel V

Die Arche des Nommo

Der Inhalt der Arche. Die Ankunft der Arche. Die Arche auf der Erde. Die Darstellungsarten der Arche des Nommo. Der im Wasser wiederauferstandene Nommo. Die Sterne und das Kalenderwesen.

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Die Ankunft der Arche.

Amma entließ also die so beschaffene Arche aus seinem Schoß und ließ sie auf die Erde herabsinken, gefüllt mit allem, was er erschaffen hatte; sie kam durch die Öffnung herab, die er in den Himmel einfügte, um die Sonne "herauszulassen", die "er dann in den Westen schubste". Man sagt, daß die Arche bei ihrem acht Perioden währenden Niedersinken am Himmel hin und her schwang. Sie nahm dabei den ganzen Himmel ein, von einem Horizont zum andern, wie ein ganz großer "irdischer Bogen", der sich von Ost nach West erstreckte. Sie schwang von Nord nach Süd und wieder zurück, in einem von Wolken vollbehangenen Himmel. "Der darauf gelegte Kasten schaukelte acht Jahre lang. Die Begrenzung des Kastens ist der Osten und der Westen. Sie schaukelt einmal, indem sie sich nach Süden neigt und dann nach Norden".

Der Ausstieg aus dem Schoß Ammas und das Niedersinken der Arche wird durch eine rituelle Zeichnung wiedergegeben, die amma bara genannt wird, und an der Decke der Yugo Dogoru-Höhle, imina sommo genannt (Fig. 158) ausgeführt wird, die unter dem Felsen gelegen ist, der den Fuß des Nommo titiyayne darstellt, wie er damit die Plazenta des FUCHSES herausreißt"[1] .

Die Lage der Zeichnung - sie ist ausgerichtet - bezeugt, daß die Ereignisse, die sie erzählt, im Himmel stattfanden: im Westen befindet sich das Ei oder die Schlüsselbeiner Ammas, umgeben von Punkten, die die yala aller Dinge sind, die er erschaffen hat; sie verteilen sich auf der Arche, die durch den nördlichen Teil der Zeichnung dargestellt ist. Das Ganze Gebilde, das horizontal von Nord nach Süd ausgerichtet ist, zeugt von dem Schaukeln beim Niedersinken der Arche; der nördliche Teil ist viel größer als das, was in den Süden gemalt wurde; ihre Kleinheit ist mit der Tatsache verbunden, daß all das, was auf der Erde lebt, sterben muß, und deshalb nach Süden zusteuert[2] . Das Rechteck im Osten ist die auf den Boden gestellte Arche.

Fig. 158 - Zeichnung, die amma bara genannt wird, an der Decke der Yugo Dogoru-Höhle.

Zur selben Zeit wie sie schaukelte, hing die Arche am Ende der Kette und drehte sich in einer Art des Hin und Her um sich selbst. So beschrieb sie beim Herabkommen eine Doppelhelix, die Bewegung des Lebens selbst verwirklichend, den Wirbel, der auch das erste Korn beseelte. Diese Bewegung wurde durch das Pusten der Ahnen aufrecht erhalten, als ob es mit einer Düse geschehen wäre.Die Düse hatte selbst die Form dieses wirbelhaften Ausblasens, das "wirbelnder Wind" (ono simu) genannt wurde, und das die "Helix des Sinkens" vorantrieb. Das Düsenloch ist der große Atemweg der Ahnen, die von oben kamen. Es ist ihr Atem, der das Drehen unterstützte, und der half, die Arche anzutreiben, damit sie herab kommen konnte"[3] .
Eine rituelle Zeichnung, die tonu des kreiselnden Herabsinken der Arche " genannt wird (Fig. 159), stellt die Drehbewegungen der Arche um sich selbst dar. Die zwei Kreise sollen das Hin-und Herbewegen der Arche ausdrücken, die äußeren Striche sollen ein Bild des Windes darstellen, das das Drehen darstellen soll und den Staub, der im Moment des Aufpralls hochgewirbelt wurde und sich dann an einer Stelle aufhäufte[4] .
Die Bewegung der Arche um sich selbst verweist schon auf die zukünfitgen Richtungen des Raumes, den sie in ihrer Totalität schon vermittelte.
Unter diesem Aspekt wird die Helix der niedersinkenden Arche durch 22 aus abwechselnd gelbem und rotem Kupfer bestehenden Ringe dargestellt, die die Lanze des Kuhhirten schmücken und auf der Erde mit den "Richtungen" korrespondieren, wohin sich die Herden begeben können [5].
Vier Baumpaare sind auf einer Linie so aufgestellt, parallel zu der ihnen zugeordneten Seite, daß die Sonne mit ihren 22 Strahlen von Osten her die im Westen stehenden Bäume bescheinen konnte[6].
Der saselu und der gobo pilu spendeten ihren "Zwillingen" bozo kubo und gobo banu respektive ihren Schatten, während das sene- und oro-Baumpaar den ihren durch die Arche hindurch auf ihr sa-yullo-Paar warfen. Die, wenn sie dann von der Sonne beschienen wurden, blühten weiß auf, die andern rot.

Fig. 159 - die tonu des kreiselnden Herabsinken der Arche.

Auf der Arche, die drehend nach unten sank, bestimmte der Nommo, den Indizien der Schatten der Bäume folgend, indem er sie ausfindig machte, die vier Himmelsrichtungen. Diese Bewegung teilte auch die Zeit in vier Perioden, die die Jahreszeiten bestimmten:

bado "angekommener Vater"
dine "winterliche Zeit"
bago "weggegangener Vater"
nay banu "rote Sonne"

In ähnlicher Weise entstand so auch das Jahr, währenddem der Nommo durch viermaliges umherreisen jede der vier Himmelsrichtungen einnahm.
Man kommentiert die Rolle des mit der Arche herabsteigenden Nommo, indem man sagt, daß er zugleich den Raum ausgelotet und die Zeit ausfindig gemacht hat mit den Mitteln der "Vase des Chefs" ogo bana, die auf der Arche hingelegt waren. Jede dieser aus Kupfer gemachten "Vasen" enthielt 22 Steine, die später einmal zum Bau der sogo-Feldaltäre benutzt werden sollten. Die Gesamtheit enthielt jedoch 24 Dinge, wenn man das Gefäß selbst und den Deckel miteinbezog. An jede der vier Vasen war ein rotes Pferd mit einem weißen Vorderteil gebunden, das so sade. Die vier Tiere stellten ein Karussell dar, dessen Zentrum zu ihrer Linken lag und ein Bild der "Krümmung" des Univerums abgab.
Zur selben Zeit, in der er Raum und Zeit festtetzte, deklamierte der Nommo das "Wort", das Amma ursprünglich in das po pilu gelegt hatte. Es wurde ihm nach seiner Wiederauferstehung übermittelt und lagerte in seinen inneren Oganen . Der Nommo ließ dieses "Wort" klangvoll ertönen: er stieg in die Arche hinab und "indem er seine Stimme (mi)gegen den Himmel erhob"; Man sagt: "der Nommo hat sich oben gewandt, wobei er sich nach unten bewegte, er hat seine Stimme in die vier Ecken des Raumes geschickt, (die Stimme) die man also vernommen hat" . Denn nachdem er das Wort erhalten und deklamiert hatte, schickte er es auf die Erde, zu den Menschen.
Die Form der Arche, ihre Bewegung während dem Herabsinken und schließlich ihre Lage im Moment des Aufpralls sind eng mit den Darstellungen verbunden, die die Ausrichtung des Raumes betreffen. Man sagt: "Als die Arche herabkam hatte der raum vier Winkel; als die Arche gelandet ist, bekam der Raum vier Seiten" .
Eine Reihe von Zeichnungen, die beim Bau auf ein neues Totemheiligtum aufgemalt werden, erinnern an diese Tatsachen (Fig. 160) [7]. Rechts der Türe ist eine Reihe von 11 Rauten

 

Fig. 160 - Zeichnungen an der Fassade eines Heiligtums, die die Herabkunft der Arche darstellen.

 

dargestellt; links eine Reihe von 11 Rechtecken. Die Rauten verweisen auf die Gestaltung des Raumes und seinen Richtungen, "vier Winkel", sibe nay genannt; die Rechtecke auf die Gestaltung der Himmelsrichtungen "die vier Seiten", benne nay genannt[8]. Zugleich sollen diese Garfiken auch an die Arche im Himmel (die Rauten) und an ihren Aufprall auf die Erde (die Rechtecke) erinnern.
Über der Türe befindet sich eine größere Raute, die an den himmlischen Ort erinnern soll, wo sich der nommo die aufhält; sie ist über zwei Nischen angebracht, die bei jedem Heiligtum über der Tür angebracht werden und den po tolo und den emme ya tolo darstellen[9] . Die Giebel, die die Fassade des Heiligtums überragen stellen die 4 Schlüsselbeiner Ammas dar, die den Himmel beherrschen, den die Terrasse symbolisiert.
Die Abfahrt und der Aufprall der Arche werden auch gleichzeitig durch die Ausgestaltung von zwei Varianten der sirige-Maske repräsentiert (Fig. 161).

Fig. 161 - Die 4 Varianten der sirige-Maske (modellhafte Zeichnungen).
Die Grafiken sollen in Erinnerung rufen: A, die "Arbeit von Amma". B, die "Umläufe von Ogo". C, die "Abfahrt der Arche". D, das "Haus mit Stockwerken".

 

Unsere Anmerkungen:

 

Originalanmerkungen:

(1) Diese weiße Zeichnung wird alle 60 Jahre beim Sigui-Fest aufgefrischt (M. Griaule, Masques dogon, p. 689 und Bild XXVI). Sie wurde gemäß ihrer Ausrichtung auf den Felsen beschrieben (und deshalb in Bezug auf die Reproduktion auf p. 689 hin ausgerichtet).

(2) Die spirituellen Prinzipien der Verstorbenen werden durch einen Ritus nach Süden dirigiert, der am Ende einer Begräbniszeremonie stattindet; ihre Zusammenlegung findet im Verlauf der zweiten Begräbnisfeirlichkeiten statt, auch Beginn der Trauer (dama) genannt. Band I, Heft 2, 3. Jahr.

(3) kolondo sugi digili tonu (Wazubadialekt). Ausgeführt bei der ondom piru-Zeremonie mit yu pilu-Brei im Innern des Manda-Totemheiligtums von Orosongo.

(4)Der Steinhaufen, der im Innern des Heiligtums von Manda befand, verweist auf diesen Staubhaufen und den Aufprall der Arche. Genau dort wurde die Feuerstelle des Heiligtums errichtet, symbolisch ernährt durch "den Wind des Herumwirbelns der Arche und dem Pusten der Ahnen" (Fig. 150 E, p. 409).

(5)Die komplette Liste und die Abfolge dieser Richtungen, werden in Heft 2, 1. Jahr, angegeben.

[6]Bezüglich der "22 Strahlen", cf. infra, Kapitel VI, Amma schließt sich wieder.

[7]Die betreffenden Zeichnungen unterstreichen die Ursprungsidentität der Teilgruppen, die aus dem gleichen, "einzigen" Totem und der selben "Arche" hervorgegangen sind, in dem Moment, wo eine wichtige Teilgruppe des Clans sich trennt und ein neues Territorium besetzt und einrichtet.

[8]Das Rechteck wird auch kakabu sibe nay genannt, "flach (und) länglich mit vier Winkeln".

[9] In diesen Nischen, die Sterne darstellen, die fürs bloße Auge unsichtbar sind, werden verschiedene Beigaben eingelagert, die für die Reinigungen der Heiligtümer, der Clanmitglieder, die einen Tabubruch begangen haben oder für die Priester selbst, benutzt werden.

 

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